Aimee Boorman übernimmt das Training
Es war ein ziemlicher Paukenschlag. Nach Wochen der Ungewissheit, in denen die Gerüchteküche auf Hochtouren lief, teilte der Deutsche Turnerbund am 28. Februar mit, dass Aimee Boorman ab März das Training in Stuttgart übernehmen wird. Seit Bekanntwerden der Missbrauchsvorwürfe am Kunst-Turn-Forum waren ein Trainer und eine Trainerin freigestellt worden. Beide werden nicht in den Trainingsbetrieb zurückkehren, Gegen einen Trainer wird inzwischen wegen des Verdachts auf Nötigung in mehreren Fällen ermittelt.

In der Zwischenzeit sprangen Bundesnachwuchstrainerin Claudia Schunk und der Cheftrainer Frauen Gerben Wiersma in Stuttgart ein, um das Training abzusichern. Auch Daymon Jones, der im letzten Zyklus das rumänische Team betreute, war in Stuttgart – und recht schnell wieder weg, wie die Stuttgarter Nachrichten berichten. Wie es genau weitergehen sollte, schien unklar. Doch nun gibt es eine mittelfristige Perspektive – Aimee Boorman wird zunächst für fünf Monate das Training der Gruppe um Helen Kevric und Marlene Gotthardt leiten.
Mit der Verpflichtung von Boorman ist ein echter Coup gelungen, schließich war sie bis 2016 die Trainerin von Simone Biles. Die 1973 geborene Boorman stammt aus Chicago, wo sie selbst Turnerin war und schon ab dem Alter von 13 Jahren Erfahrung als Trainerin sammelte. Zunächst nebenbei, um ihr eigenes Turntraining zu finanzieren. Später zog sie nach Texas, wo sie ein Jahr bei der Cypress Academy arbeitete und dann zu Bannon’s Gymnastix wechselte. Bei Bannon’s entdeckte sie Biles, die sie ab 2003 trainierte. Nach den Olympischen Spielen in Rio 2016 nahm sich Biles eine Auszeit. Boorman zog mit ihrer Familie nach Florida. Sie reist mittlerweile als gefragte Expertin und Beraterin durch die Welt. 2021 übernahm sie interimsmäßig das Training mit dem niederländischen Frauenteam.
Zu nett für den Erfolg
Als Trainerin ging sie ihren ganz eigenen Weg, der sich von vielen in den USA unterschied. „Jahrelang wurde mir gesagt, dass ich keinen Erfolg haben würde, weil ich zu nett sei“, sagte sie im Interview mit dem Podcast The Great Coaches. „Dieses Konzept fand ich ganz schrecklich – warum muss man bösartig sein, um etwas zu erreichen? Ich habe dafür gesorgt, dass ich meine „Nettigkeit“ beibehalten konnte, ohne mein Ziel aus den Augen zu verlieren. Im Wissen darum, dass ich das ultimative Ziel vielleicht nicht erreichen werde. Aber es auch nicht bereuen werde, auf welchem Wege ich versucht habe, es zu erreichen.“
Ausschlaggebend waren ihre eigenen Erfahrungen als Turnerin. „Ich erinnere mich an Trainer, die nett zu mir waren, und an Trainer, die nicht nett zu mir waren. Wenn ich heute zurückblicke, ist mir klar, dass sie tatsächlich grausam zu mir waren. Und ich erinnere mich, dass ich damals dachte: „Das ist schrecklich, und als Trainerin möchte ich nicht, dass sich ein Kind so fühlt, wie ich mich gefühlt habe“.“
Boorman hatte als junge Trainerin keine Vorbilder, die so arbeiteten, wie sie sich das vorstellte und ihr ist die Rolle als Mentorin deshalb heute besonders wichtig. Trainer*innen müssten sich ständig weiterbilden und entwickeln, am wichtigsten sei dabei die Kommunikation mit den Turnerinnen, die auf Augenhöhe erfolgen solle. Glückliche Turnerinnen sind erfolgreicher, ist sich Boorman sicher.
In ihrer Karriere hat sie ganz andere Methoden gesehen, nicht zuletzt bei der damaligen US-Teamchefin Marta Károlyi. „Sie dachte, dass man Topsportlerinnen motivieren kann, indem man ihnen sagt, dass sie nicht gut genug sind. Marta gehörte zu einer älteren Generation, zu einer Ostblockgeneration. Sie haben so gehandelt, weil es ihnen so beigebracht wurde. Ich entschuldige das nicht, aber ich verstehe, warum Marta so mit den Leuten gesprochen hat. Das ist für mich nicht akzeptabel, aber ich verstehe es.“
Vom 27. bis zum 30. März findet in Stuttgart der DTB-Pokal statt. Bei der 40. Ausgabe dieses internationalen Höhepunktes wird der Schwäbische Turnerbund wohl kaum auf den Start der eigenen Turnstars verzichten wollen. Mit Boorman haben sie jetzt erst einmal wieder eine feste Trainerin. Für das deutsche Turnen im Allgemeinen und Stuttgart im Besonderen wird Boorman sicherlich einiges an Veränderungen und frischen Wind bringen – es bleibt interessant.

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