Russische Sportler*innen mit neutralem Status werden aus Protest gegen die Ablehnung der Anträge einiger Teammitglieder nicht wie geplant an FIG-Wettkämpfen teilnehmen. Das gab der russische Turnverband am 5. April per offizieller Mitteilung auf seiner Website bekannt. Als Grund dafür werden „die zahlreichen ungerechtfertigten und voreingenommenen Ablehnungen durch die FIG-Sonderkommission“ angegeben. Die Entscheidung sei alleine von den Sportler*innen ausgegangen.
Mit diesem Schritt vollzieht man eine erneute 180-Grad-Wende bei der Teilnahme an internationalen Wettkämpfen. Erst im März hatten eine ganze Reihe von russischen Aktiven und Offiziellen neutralen Status erhalten. Damit sind sie bei FIG-Wettkämpfen wie Weltcups und der Weltmeisterschaft in Jakarta im Oktober startberechtigt. Einige Anträge wurden abgelehnt, etwa der von Viktoria Listunova und einigen Sportgymnastinnen. Laut der russischen Seite liegen den Ablehnungen Fotos und Posts aus sozialen Medien zugrunde, die als Unterstützung des Krieges gegen die Ukraine gewertet wurden. Die FIG erklärte, dass man die Entscheidung des russischen Verbandes bedauere. Der Entscheidungsprozess sehe Hintergrundprüfungen durch ein externes Unternehmen sowie die Überprüfung der einzelnen Anträge durch einen Ad-hoc-Ausschuss vor.
Die Teilnahme mit neutralem Status war seit dem 1. Januar 2024 möglich, womit auch eine Chance auf die Olympiateilnahme bestand. Das hatte man in Russland damals jedoch für das Turnen und die Rhythmische Sportgymnastik strikt abgelehnt, weil man die Bedingungen als erniedrigend und unfair empfand. An den Spielen in Paris nahm eine Trampolinspringerin teil, aber keine Aktive im Turnen oder der RSG. Anfang des Jahres 2025 erfolgte auf einmal eine komplette Kehrtwende, im Februar verkündete Verbandsvize Vasili Titov, dass man bei der FIG 100 Anträge auf neutralen Status eingereicht habe. Anfang März hatten sieben Turnerinnen und fünf Turner grünes Licht von der FIG erhalten.
Absagen für anstehende Weltcups
Diese bereiteten sich nach dem positiven Bescheid auf internationale Starts vor. Für den Weltcup im kroatischen Osijek am kommenden Wochenende waren vier Turner und drei Turnerinnen gemeldet, u.a auch Olympiasiegerin und Weltmeisterin Angelina Melnikova. Melnikova hatte nach dem Erhalt des neutralen Status noch ihre große Vorfreude auf internationale Wettkämpfe erklärt. Darauf muss sie jetzt auf unbestimmte Zeit warten.

Auch für den Turn-Weltcup in Doha hatte man gemeldet, diese Teilnahme wird jetzt ebenfalls abgesagt. Im Trampolin waren beim Weltcup in Riccione letztes Wochenende sowie dem Weltcup im Februar in Baku russische Athlet*innen am Start. Sie werden aber nun keine weiteren Wettkämpfe bestreiten.
„Absurd und unfair“
Nikita Nagorni, mittlerweile Vizepräsident des russischen Verbandes, nannte die Begründungen für den Nichterhalt des neutralen Status auf seinem Telegrammkanal „absurd und einfach unfair“. Nikolaj Makarov, ebenfalls Vizepräsident des Verbandes und Mitglied des FIG-TK Trampolin, bezeichnete das Entscheidungsgremium in der FIG als „Idioten“, die „absolut dumme Entscheidungen“ treffen würden. Makarov hatte sich im letzten Jahr noch für einen Start russischer Trampolinspringer*innen bei den Olympischen Spielen starkgemacht.
Viktoria Listunova bedankte sich indes für die Solidarität: „Es ist viel wert, wenn das gesamte Team diejenigen unterstützt, denen die Chance auf die Teilnahme an den nächsten Wettkämpfen genommen wurde. Ich bin sicher, dass wir durch den Schulterschluss nur noch stärker geworden sind.“ Allerdings hätte Listunova auch mit neutralem Status keine Chance auf Wettkämpfe in absehbarer Zeit. Sie hat sich im Februar, also bevor ihre Ablehnung durch die FIG bekannt wurde, die Achillessehne gerissen.
„Das ist alles Politik“
Cheftrainerin Valentina Rodionenko kam dann mit einer leicht abgewandelten Erklärung um die Ecke. Man habe keine Visa für die Einreise nach Kroatien bekommen. „Das ist eine weitere ihrer Provokationen. Alles lief normal, aber jetzt haben diese Spielchen angefangen. Was sollen wir tun? Welche Art von Demütigung müssen wir uns noch gefallen lassen?“ Auch Rodionenko betonte, die Entscheidung, alle Wettkämpfe abzusagen, sei von den Sportler*innen ausgegangen. „Ich unterstütze sie voll und ganz. Wir können nicht ohne Ende gedemütigt werden. Erst haben sie die Flagge und die Hymne verboten (..), und jetzt entscheiden sie, wer zugelassen wird und wer nicht. Das ist alles Politik, und unsere Athleten sind nicht der Meinung, dass sie da sitzen und um Visa betteln sollten“, echauffierte sich die 88-Jährige.
Die Regeln gelten übrigens auch für Sportler*innen aus Belarus, die schon seit letzten Jahr als Neutrale antreten. So wurde Ivan Litvinovich in Paris Trampolin-Olympiasieger. Die FIG will auf der nächsten Sitzung des Exekutivkomitees Anfang Mai erneut über die Frage der neutralen Athlet*innen beraten.

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